Dienstag, 14. Januar 2014

Sternenritt

Eine Kurzgeschichte, die ihren Namen wirklich verdient hat. Sehr kurz und in noch kürzerer Zeit geschrieben... ein Beitrag für einen Schreibwettbewerb, der leider nicht angenommen wurde. Dafür steht sie halt nun hier.


Julius war sich sicher, dass Mara ihn bisher für einen ziemlichen Langweiler hielt. Er hatte sie am Abend zum Essen in seinen Lieblingsitaliener eingeladen. Nichts besonderes, ein kleiner, gemütlicher Laden am Rande der Stadt. Während dem Essen war er die meiste Zeit über so nervös gewesen, dass er sich kaum traute etwas zu sagen. Zum Glück war sie recht gesprächig und hatte ihm alles Mögliche über die Schule, ihre Brüder und den Strandurlaub letztes Jahr erzählt. Nach dem Essen hatte er sie hierher, auf den kleinen Hügel hinter der Stadt geführt. Durch einen Wald ging es einige Minuten recht steil bergauf, bis man oben schließlich den Wald wieder hinter sich ließ und auf einer kleinen Lichtung auf der Spitze des Hügels stand. Von der Stadt war von hier aus nichts mehr zu sehen, der Wald war zu hoch und zu dicht. Doch auf der anderen Seite bot sich ein atemberaubender Anblick. Man konnte mehrere Kilometer weit sehen, überblickte Wiesen, Wälder und Flüsse. Der Himmel war heute sternenklar und der Vollmond stand hoch über ihnen. Es wehte ein sanfter, warmer Sommerwind und ließ die Bäume hin und wieder rauschen und flüstern. Als sie angekommen waren, war Mara von dem Anblick überwältigt gewesen. Sie konnte es kaum glauben, dass sie diesen wunderbaren Ort nie zuvor entdeckt hatte. Doch nun waren sie schon seit über einer Stunde hier, lagen auf dem Rücken im Gras und beobachteten den Sternenhimmel und Julius hatte langsam das Gefühl, dass sie sich langweilte und demnächst gehen wollte. Immer wieder blickte sie auf ihr Handy. Die Gesprächsthemen waren ihnen schon vor einiger Zeit ausgegangen. Aber er wollte noch nicht gehen. Er wollte ihr etwas zeigen. Doch das konnte er ihr nicht sagen, sie hätte ihn für verrückt erklärt. Nein, sie musste es mit eigenen Augen sehen, musste es erleben. Mara hatte sich gerade aufgesetzt und wollte etwas sagen, als er sie unterbrach. „Da, siehst du das?“ Sie folgte seinem Blick und sah, dass am Nachthimmel die Luft zu flirren begann, wie sie es normalerweise über einer aufgeheizten Straße im Sommer tat. Langsam schien die Luft Gestalt anzunehmen, sich zu verfestigen und zu glühen, als würde sich das Licht der Sterne an einem Punkt vereinen, um etwas Neues zu bilden. Entsetzt blickte sie ihn an. „Was ist das?“ Doch er lächelte nur. Als sie wieder Richtung Himmel blickte, hatte das Licht die Form eines Drachen angenommen, der nun auf sie zuzukommen schien. Er funkelte und glühte, als bestünde sein geschlungener Körper selbst aus Sternen. Nein, es sah nicht nur so aus, er kam tatsächlich auf sie zu und landete  sanft vor ihnen im Gras. „Das ist meine Überraschung für dich,“ sagte er, schritt auf den Drachen zu und kletterte auf ihn. Der Drache schnaubte und blickte Mara aus treuen, freundlich Augen an. Es schien ihr fast, als lächelte er. Julius saß nun auf dem Drachen wie auf einem Pferd und streckte ihr einladend eine Hand entgegen. „Komm, steig auf, wir machen einen Ausflug.“ Mara konnte ihren Augen nicht trauen. Träumte sie? Das hier war einfach viel zu unwirklich. Sie schritt auf ihn zu, nahm seine Hand und ließ sich von ihm beim Aufsteigen helfen. „Halt dich fest.“ Kaum hatte er die Worte ausgesprochen, setzte sich der Drache in Bewegung. Mara schlang ihre Arme um Julius, doch eigentlich war das gar nicht nötig. Die Bewegungen des Drachen waren ganz sanft. Obwohl sie nervös war, fühlte sie sich auf seinem Rücken sicher und geborgen. Nach einigen Schritten auf dem festen Boden hob der Drache ab. Wobei abheben das falsche Wort war. Er lief einfach weiter, nur eben in der Luft. So, als führte ein unsichtbarer Weg hinauf in den Sternenhimmel.  Federleicht glitten sie den Sternen entgegen. Der Wind spielte in ihrem Haar und strich sanft über ihre Haut. Der Ausblick von hier oben war gigantisch. Sie sah die leuchtenden Silhouetten der Dörfer, die Seen, in welchen sich das Sternenlicht spiegelte und die geheimnisvollen Wälder und Flüsse. Seltsamerweise machte ihr die Höhe nichts aus. Sie fühlte sich einfach frei und so lebendig wie noch nie in ihrem Leben. Plötzlich ging der Drache in einen Sturzflug über. Sie schlang die Arme fester um Julius. Der Drache hielt direkt auf die Oberfläche eines Sees zu, in dem sich die Sterne spiegelten, als blicke man direkt in den Himmel einer anderen Welt. Sie schrie auf, als sie die Wasseroberfläche durchbrachen und schloss erschrocken für einen Moment die Augen. Doch sie spürte keinen Aufprall auf dem Wasser, nur so etwas wie einen kräftigen Windstoß. Als sie die Augen wieder öffnete, blickte sie nicht mehr länger auf eine Landschaft hinab. Überall um sie herum befanden sich nun Sterne. Sie glitten durch ein Meer glühender Punkte, das sich ins Unendliche zu erstrecken schien. Julius spürte, wie sie sich näher an ihn schmiegte und fühlte einen kurzen, wunderbaren Moment lang ihre Lippen auf seiner Wange.


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