Sonntag, 15. März 2015

Stille: Kapitel 5

Hallo ihr lieben,

es ist wieder der 15. und damit Zeit für den Blogroman.
Im aktuellen Teil geht es sowohl bei Mia, als auch bei Lukas weiter. Ich hoffe, er gefällt euch :-)
Viel Spaß beim lesen!

liebe Grüße,
Sabi

Kapitel 5


Mias Mutter starrte auf die Zeilen in ihren Händen.
„Hallo Lilly, es tut mir leid, aber ich muss weg. Ich muss rausfinden, was wirklich passiert ist. Aber es geht mir gut. Bitte sag das auch meinen Eltern, wenn sie hier auftauchen. Ich werde mich melden. Alles liebe, Mia.“

Der Chefarzt hatte Mias Mutter am frühen Morgen angerufen und gesagt, dass sie auf der Stelle kommen sollten, Mia sei weggelaufen. Das halbe Klinikteam hatte bereits die Klinik und den dazugehörigen Park abgesucht. Zeitgleich mit den Eltern, hatten sie auch die Polizei informiert. Jetzt standen sie alle, Mias Eltern, der Psychologe, zwei Polizeibeamte und Lilly in dem kleinen Zimmer, als es an der Türe klopfte und eine Schwester in Begleitung einer Frau herein trat. „Ähm, Entschuldigung, das hier ist Frau Mernes. Sie sagt, sie sei eine Bekannte von Mia und wolle sie hier besuchen. Alle sechs Anwesenden drehten sich gleichzeitig zu ihr um. „Ich geh dann besser mal“, sagte die Schwester und war eine Sekunde später aus dem Türrahmen verschwunden. Mias Mutter musterte die Frau, die da plötzlich erschienen war. Sie war etwas korpulenter, hatte dunkelbraune Haare und trug einen eleganten, schwarzen Mantel. Sie schätzte sie auf Mitte vierzig. Was hatte eine Frau wie sie mit ihrer Tochter zu tun? Einer der Polizeibeamten trat zwischen die beiden Frauen, die sich gegenseitig musterten. „Kennen sie diese Frau?“ Fragte er, an Mias Mutter gewandt. „Nein, ich habe sie noch nie gesehen.“ Sie wandte sich an die Frau. „Woher kennen Sie meine Tochter?“

Frau Mernes wurde sichtlich nervös. Das war wohl gründlich danebengegangen. Sie hätte bereits etwas ahnen müssen, als der Pförtner sie so misstrauisch angeblickt hatte. Jetzt stand sie gleich Mias Eltern und der Polizei gegenüber und musste sich etwas überlegen. „Wir kennen uns aus der Bibliothek“, antwortete sie und hoffte, dass es aufrichtig klang. „Und was haben sie mit Mia zu tun, dass Sie sie sogar hier in der Klinik besuchen?“ Fragte der Polizeibeamte. „Nun ja, wir sehen uns dort eigentlich jede Woche. Manchmal häufiger und tauschen uns über die Bücher aus, die wir gelesen haben. Daraus hat sich irgendwann eine Freundschaft entwickelt. Ich war selbst überrascht, als sie mir geschrieben hat, dass sie hier ist und dass sie sich über einen Besuch freuen würde.“ Nervös begann sie an dem Schlüssel in ihrer Jackentasche herumzuspielen. Das machte sie immer, wenn sie nicht weiter wusste. „Mia hat noch nie von ihnen erzählt,“ sagte Mias Mutter Sie klang gereizt und machte den Eindruck, als wolle sie gleich auf die fremde Frau los gehen..
„Lilly“, begann der Psychologe. „Hat Mia dir schon von ihr erzählt?“
„Nein, ich glaube nicht. Ich kann mich nicht daran erinnern.“
„Wer sind Sie?“ platzte Mias Mutter nun um einiges lauter heraus. Frau Mernes wusste nicht, was sie tun sollte. „Das habe ich Ihnen doch bereits gesagt. Ich kenne Mia aus der Bibliothek und wir teilen eine gemeinsame Leidenschaft für Bücher. Mehr kann ich dazu auch nicht sagen.“ Sie drückte ihre Fingerspitzen nun so stark gegen den Schlüssel, dass es fast schon wehtat. Nachher würde sie wieder lauter kleine Dellen in der Haut haben.
„Das glaube ich Ihnen nicht“, schrie Mias Mutter und stürmte auf Sie zu. Doch da trat der Polizeibeamte zwischen die Beiden.
„Beruhigen sie sich“, sagte er, griff Mias Mutter an der Schulter und zwang sie, stehen zu bleiben. „Hey, jetzt beruhigen sie sich, alles klar? Okay, ich glaube, wir kommen hier so nicht weiter.“ Der zweite Polizeibeamte ging an ihnen vorbei und auf Frau Mernes zu. „Kommen sie mit, dann nehme ich Ihre Personalien auf, damit wir Ihre Aussage später überprüfen können. Wenn es stimmt, was sie sagen, wird das in der Bibliothek sicher jemand bestätigen können.“  Mit diesen Worten führte er sie aus dem Zimmer, hinaus auf den Gang und ins Schwesternzimmer, wo er die Türe schloss. Frau Mernes merkte, dass sich an ihrem Ringfinger langsam eine schmerzhafte Blase bildete.

***

Es war früh am Morgen als Lukas sich auf den Weg zum Fachwerkhaus machte. Lange hatte er überlegt, ob es richtig war dort hin zu gehen. Aber heute früh war er aufgewacht und hatte gewusst, dass jetzt der richtige Zeitpunkt war. Er hatte sich angezogen, einen Toast mit einer dieser Nutella-Nachmachen geschmiert, dazu ein Glas Orangensaft runtergeschüttet und war losgegangen. Jetzt hoffte er, dass er sich mit dem Überlegen nicht zu lange Zeit gelassen hatte. Immerhin war es inzwischen zwei Wochen her, dass die seltsame Frau ihm den Brief überreicht hatte. Lukast hatte seitdem immer wieder nach ihr Ausschau gehalten, wenn er in der Stadt unterwegs war, aber er hatte sie nie entdecken können. Auf dem Weg zur Schule hatte er einen Umweg genommen, um nicht an ihrem Haus vorbei zu laufen. Als er jetzt davor stand, kam ihm das Haus auf einmal seltsam vor. Es schien nicht hierher zu passen, neben die moderne Bibliothek und das weiße Einfamilienhaus mit den Glasfronten. Irgendwie wirkte es unheimlich. Lukas war kurz davor, einfach weiter zu laufen, als seine Neugierde doch siegte. Das Gartentor knarrte, als er es öffnete. Langsam betrat er das Grundstück und folgte dem Weg aus einzelnen Natursteinplatten zwischen sorgfältig angelegten Kräuterbeeten und wild wachsenden Hecken und Bäumen hinauf zur Türe. Im Haus regte sich nichts. Er ging die drei Stufen hinauf und stand nun etwas unentschlossen vor der Haustüre. Als er gerade auf die Klingel drücken wollte, hielt er inne. Was machte er hier eigentlich? Er hatte einen Brief von einer wild fremden Frau bekommen und stand nun vor ihrer Haustüre, um sich mit ihr über irgendeine unbekannte Bedrohung zu unterhalten. Zweifel kamen in ihm auf und er wollte sich gerade umdrehen, als die Türe aufging und das Gesicht der alten Frau im Türrahmen erschien. Ihre Lippen bewegten sich, aber er war zu erschrocken, um erkennen zu können, welche Worte sie formten. Etwas hilflos blickte er sie an.

Als sie sein Zögern bemerkte, lächelte sie ihm zu, öffnete die Türe ganz und streckte ihm die Hand entgegen. Dann sagte sie etwas langsamer: „Mein Name ist  Liana Weingrün.“ Lukas ergriff ihre Hand. Sie hatte einen festen Griff, kein Wunder, wenn sie diesen Garten wirklich alleine pflegte. „Komm doch bitte rein, Lukas“, sagte sie und machte einen Schritt zur Seite. Immernoch misstrauisch betrat er das Haus. Drinnen stoben ihm Gerüche von Gewürzen entgegen. Wahrscheinlich von Räucherstäbchen, die sie regelmäßig abbrannte. Das Haus war erstaunlich hell und modern eingerichtet. Lukas hatte mit uralten Möbeln aus dunklem Holz, hohen Wandschränken und allerlei Krimskrams in den Regalen gerechnet. Doch die Wände hier im Flur waren weiß gestrichen, an der Wand hin ein farbenfrohes Bild einer Sommerwiese und die Garderobe war in hellem Holz und Silber gehalten. Liana bedeutete ihm, dem Flur zu folgen und das Zimmer geradeaus zu betreten. Er ging voran, sie folgte ihm. Durch einen kleinen Torbogen kam er in das Wohnzimmer. Hier standen eine beige Couch mit einem kleinen Couchtisch davor und eine moderne Schrankwand mit Flachbildfernseher. An den übrigen Wänden standen viele Regale in unterschiedlicher Höhe, die alle bis oben hin mit Büchern gefüllt waren. Liana bedeutete ihm, auf dem Sofa Platz zu nehmen und fragte ihn dann, ob er einen Tee wolle. Lukas nickte, woraufhin sie verschwand. Auf dem kleinen Tisch vor der Couch lag ein altes Buch. „Sowas passt hier schon eher rein“, dachte er bei sich. Der Umschlag war braun und mit ein wenig Gold  verziert. Einen Titel gab es nicht. Zumindest nicht auf der Vorderseite. Den Buchrücken konnte er aus seiner Position nicht erkennen. Lukas hätte das Buch gerne in die Hand genommen, aber er wollte nicht den Eindruck erwecken, dass er in ihren Sachen stöberte, also ließ er es liegen.

Nach wenigen Minuten kam Liana mit einem Tablett, auf dem eine Teekanne und zwei Tassen standen, zurück. Sie stellte das Tablett vor ihm auf dem Couchtisch ab und setzte sich neben ihm auf das Sofa. Dann blickte sie ihn einige Sekunden an, ohne etwas zu sagen. Gerade als die Situation Lukas unangenehm wurde und er aufstehen wollte, begann sie zu sprechen. „Schön, dass du da bist. Ich möchte dir etwas zeigen“, formten ihre Lippen. Sie sprach wieder sehr langsam. Vermutlich dachte sie nach der Situation an der Türe, dass er sie nur so verstehen konnte. Dabei konnte er in der Regel flüssig Lippenlesen, solange er die sprechende Person direkt von vorne betrachten konnte. Liana nahm das Buch in die Hand, das vorhin schon Lukas Aufmerksamkeit geweckt hatte. Vorsichtig blätterte sie darin. Jetzt konnte Lukas erkennen, dass das Buch kein gedrucktes Buch war. Es war handgeschrieben. Manche Seiten waren in einer schön geschwungenen Schrift beschrieben, mit detailreichen Zeichnungen daneben, andere waren wohl in großer Eile aufgeschrieben worden, ebenso wie die Skizzen, die daneben zu sehen waren. Dann hörte sie auf zu blättern. Sie hatte offensichtlich gefunden, was sie gesucht hatte. Die Doppelseite war in kleiner Schrift eng beschrieben, dabei gingen die Zeilen von einer Seite auf die andere über. Die Überschrift entzifferte Lukas als Peisinoen. Lukas versuchte etwas von dem Text darunter zu lesen, bis er merkte, dass die geschriebene Sprache anscheinend nicht deutsch war. Sie erinnerte ihn an Französisch, einige Wörter kamen ihm entfernt bekannt vor. Vielleicht war es spanisch, oder italienisch. Beides hatte er in der Schule nicht gelernt. Im unteren Eck der zwei Seiten war eine Zeichnung. Sie zeigte eine Figur, von vorne und von hinten. Auf der Zeichnung von vorne sah sie beinahe menschlich aus. Der Körper war zwar ein wenig verzerrt, wirkte irgendwie in die Länge gezogen, aber ansonsten war es einem Menschen sehr ähnlich. Bis auf die beiden Balken, die hinter seinem Rücken emporragten. Auf dem zweiten Bild, der Ansicht von hinten, war von den Balken nichts zu sehen. Stattdessen stand es mit ausgebreiteten Flügeln da. Fragend blickte Lukas zu Liana auf. Die klappte das Buch zusammen und legte es wieder auf den Tisch. „Das ist es, worum es geht.“ Lukas verstand kein Wort. Ging es hier um irgendein komisches Fantasy Projekt? War er in eine Sekte geraten? Oder was wollte die Frau ihm sagen. Suchend blickte er sich im Raum um, bis er auf einem der Regale einen Zettel und einen Stift entdeckte. Er stand auf und holte sich beides. Dann kritzelte er ein paar Worte auf das Blatt. „Worum geht es?“ Liana las den Satz und blickte ihn wieder an. „Um genau diese Wesen. Sie waren lange verschwunden und sind jetzt wieder da. Wir brauchen dich für eine bestimmte Aufgabe. Aber ich kann dir erst sagen, worum es genau geht, wenn du zustimmst, dass du dabei bist.“ Verständnislos blickte er sie an. Dann schrieb er: „Wie kann ich etwas zustimmen, wenn ich nicht mal weiß, was ich da zustimme?“ Liana lächelte. „Nun, du bist doch auch her gekommen, ohne zu wissen, was dich hier erwartet, oder?“ Da hatte sie natürlich Recht. Aber das war was anderes, da war die Rede noch nicht von irgendwelchen Fantasiegestalten gewesen. Wieder griff er zu dem Zettel. „Und was soll das sein, diese Peisi…?“ Als Liana den Satz las, verschwand das Lächeln augenblicklich wieder aus ihrem Gesicht und machte einer tiefen Traurigkeit Platz. „Genau das kann ich dir noch nicht sagen. Ich kann dir nur sagen, dass es sie gibt und dass sie wieder da sind. Sie können große Macht erlangen, das versuchen wir zu verhindern.“ Ungläubig blickte Lukas sie an. Fast ohne hin zu sehen, schrieb er die nächsten Worte auf den Zettel. „Und was soll ich dagegen tun?“ Ihre Antwort überraschte ihn: „Nichts. Du musst nur die vorbereiten, die etwas dagegen tun sollen.“

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