Teil 2 – Sir Henrys Reich
Lu lag auf dem Boden und starrte zu seinem unbekannten
Retter empor, der nun langsam auf ihn zu kam. Im Gehen schob er das Schwert und
den Stock in seinen Gürtel. Er war
ebenfalls ein Teddy, ungefähr gleich groß wie Lu. Doch er wirkte seltsam
unförmig. Als er neben Lu stand und ihm seine Pfote entgegen streckte, erkannte
Lu, dass sein linkes Ohr eingerissen war und sich eine grobe Naht quer über
sein rechtes Auge zog. Obwohl der Unbekannte ihm Angst einflößte, griff Lu nach
der Pfote und ließ sich von ihm aufhelfen.
„Danke, dass du mir geholfen hast,“ brachte Lu immer noch
leicht zitternd heraus.
„Kein Problem, die Dinger sind eine echte Plage.“
In Lus Kopf überschlugen sich die Gedanken. Was machte ein
Teddy hier unten in den Bahntunneln? Und was war mit ihm geschehen? Woher kamen
all die Narben?
„Komm.“ Der Teddy setzte sich in Bewegung.
„Äh, wohin? Und wer bist du überhaupt?“
Er blieb stehen und drehte sich zu Lu um. „Zu mir, da sind
wir sicher. Wenn wir dort sind erkläre ich dir alles.“
„Aber ich muss zurück zu meinem Theo, er hat mich heute verloren
und ich muss doch…“
„Und wie?“ Unterbrach der Fremde ihn barsch. „Über die
Ausgänge? Vergiss es! Da ist alles voll mit Kameras.“
Mit diesen Worten drehte er sich um und ging wieder weiter.
Lu stand einige Sekunden unschlüssig da, beschloss dann
aber, ihm zu folgen. Eine andere Möglichkeit hatte er nicht. „Dann verrate mir
doch wenigstens deinen Namen.“
„Sir Henry.“
„Sir Henry? Das ist aber ein ungewöhnlicher Name für einen
Teddy, “ erwiderte Lu.
„Ich weiß, ich habe ihn mir selbst gegeben.“
„Warum?“ Neugierig
blickte Lu Sir Henry an, doch der reagierte nicht, sondern ging mit sturem
Blick, schweigsam immer weiter an der Schiene entlang. Lu ging neben ihm,
erleichtert, dass er nicht alleine hier unten war. Und trotzdem war ihm nicht
wohl bei der Sache. Erst nach einiger Zeit bemerkte er das Klopfen, das sie zu
verfolgen schien. Teddys machen beim Laufen normalerweise keine Geräusche auf
ihren Plüschsohlen. Doch er hörte neben sich regelmäßig ein „Klack – Klack –
Klack“. Er blickte hinüber zu Sir Henry, aber der starrte nur weiter gerade aus
und schien im Takt mit dem Klopfen zu laufen. Verwundert blickte er an ihm
herab und stellte mit Entsetzen fest, dass sein rechtes Bein fehlte. Dort, wo
eigentlich die dünne Naht sein sollte, die den Übergang vom Rumpf ins Bein
markiert, war eine scharfe Kante zu sehen. Statt einem Plüschbein ragte eine
Schnapsflasche aus seinem Körper heraus, die das fehlende Bein ersetzte. Erschrocken
wandte er sich von dem Anblick ab. Was war das nur für ein Kerl? Hoffentlich
wollte er ihm wirklich helfen und hatte nicht irgendwelche anderen Pläne mit
ihm.
Sie waren vielleicht eine viertel Stunde gelaufen, als Sir
Henry plötzlich stehen blieb. „Wir müssen da durch.“ Er zeigte auf die Mauer
des Tunnels, doch Lu konnte im ersten Moment nichts erkennen. Erst als er näher
heran ging sah er, dass da ein kleiner Spalt in der Mauer war. Gerade breit
genug, dass ein Teddy sich hindurch quetschen konnte. „Okay, geh du vor.“
„Wie du willst,“ erwiderte Sir Henry und war keine zwei Sekunden
später durch den Spalt verschwunden. Vorsichtig ging Lu näher heran und
versuchte irgendetwas hinter dem Durchgang zu erkennen. Doch es war
stockdunkel. Es war ihm nicht wohl dabei, doch er nahm all seinen Mut zusammen
und schob sich seitlich durch die Lücke. Das Gestein war kalt und er brauchte
Kraft, um sich hindurch zu schieben, wobei er das Gefühl hatte, dass er harte
Fels ihm das Fell aufkratzte. Doch schon nach wenigen Sekunden war er auf der
anderen Seite. Der Spalt war nur ungefähr 20 cm lang. Hier war es so
stockfinster. Lu streckte seine Ärmchen aus, um zu ertasten, wo er war. Direkt
neben und über sich spürte er Felsen. Er musste in einem kleinen Tunnel sein.
Plötzlich flackerte ein Licht auf. Sir Henry hatte ein Streichholz gezündet, das
er nun an eine Kerze hielt. Im Licht der Flammen sah sein Gesicht noch
verzerrter und angsteinflößender aus, als in der sterilen
Haltestellenbeleuchtung.
„Wo sind wir hier?“ Fragte Lu.
„In einem Rattenloch,“ antwortete Sir Henry kurz, drehte
sich dann um und ging den Gang entlang.
„Und wo führt es hin?“ Entgegnete Lu verwundert.
„In mein Zuhause.“
Zuhause? In Lu keimte Hoffnung auf. Konnte es sein, dass
dieser Tunnel an die Oberfläche führte? Zu einer Familie? Wenn er sich nicht
allzu sehr täuschte, verlief der U-Bahntunnel nicht weit weg von Theos Haus.
Vielleicht waren sie seinem Ziel schon näher, als er bisher gedacht hatte.
Doch der Tunnel führte nicht bergauf, er führte überhaupt
nicht weit. Schon nach wenigen Minuten sah Lu in einiger Entfernung einen
schwachen Lichtschimmer. Die Hoffnung, die er eben noch verspürt hatte, schwand
augenblicklich. Als sie am Ende des Tunnels angekommen waren, betraten sie einen
großen Kellerraum. Lu war erst ein Mal in einem Keller gewesen. Theos Oma
wollte ihm den großen Vorratskeller zeigen, in dem sie ihre köstlichen
Marmeladen und Gelees gelagert hatte. Doch Theo hatte schon auf der Treppe
Angst vor den dunklen Räumen bekommen und war in sein Zimmer gerannt, um Lu zu
holen. Gemeinsam hatten sie sich dann die Treppe runter und durch den spärlich
erleuchteten Gewölbekeller gewagt. Es war kalt dort unten und überall hingen
Spinnenweben. Theo zitterte und auch Lu musste sich zusammenreißen. Doch als
Theo die ganzen bunten Marmeladengläser sah, war all die Angst vergessen. Er
durfte sich sogar zwei aussuchen, die er wieder mit hoch nehmen durfte. Eines
durfte er noch bei der Oma aufmachen und immer zum Frühstück davon essen, das
andere hatte er mit heim genommen. Die Erinnerung an diese glücklichen Zeiten
mit Theo schmerzte ihn sehr, schon wieder spürte er diesen Klos im Hals. Er
musste sich zusammen reißen und irgendwie einen Weg finden, hier wieder raus zu
kommen.
Lu atmete ein paar Mal tief durch und sah sich dann in dem
Raum um. Es war ein Kellergewölbe, mit Wänden aus Stein. An einer Seite war
wohl mal eine Tür, doch die war zugemauert, so dass nur noch ein leichter
Umriss zu erkennen war. An den Wänden standen Regale, die von Kerzenlicht
erleuchtet waren. In den Regalen lagen Unmengen an weiteren Kerzen. Bei
genauerem Hinsehen erkannte er, dass die verschiedenen Ebenen miteinander
verbunden waren. Auf fast jeder Höhe waren die Bretter an irgendeiner Stelle
aufgebrochen. Darunter führten gestapelte Kerzen, wie eine Treppe auf das obere
Regalbrett. In den Regalen standen selbst gebaute kleine Möbel. Genau richtig
für einen Teddy. Sir Henry hatte sich hier wohl sein eigenes kleines Haus
eingerichtet.
„Wow, hast du das alles selber gemacht?“
„Ja, größtenteils. Die Regale waren schon da, Nägel findet
man hier auch und aus den herausgebrochenen Hölzern habe ich die Tische, Stühle
und Betten gebaut. Naja, ich war auch nicht ganz alleine. Ich hatte Hilfe.“
„Hilfe?“ erwiderte Lu erstaunt. Doch in dem Moment sah er
schon hinter einem der Regalpfosten ein kleines Plüschkätzchen mit großen Glubschaugen
hervortreten.
„Das ist Pimminny,“ stellte Sir Henry das kleine Wesen vor. „Na
komm her Kleines, er ist unser Gast für die nächsten Tage.“
„Die nächsten Tage?“ Fragte Lu überrascht. „Aber ich muss
doch möglichst schnell wieder nach Hause.“
„Schon klar, aber wir müssen schauen, dass wir dich
möglichst sicher hier raus bekommen. So einfach ist das nicht. Ich muss wissen,
wo genau das Haus steht, zu dem du zurück möchtest. Dann können wir uns
überlegen, welche Tunnel wir nehmen, wo du sicher auf die Straße und schließlich
zurück zum Haus kommen kannst.“
Lu war etwas überrascht von der neuen Gesprächigkeit seines
Gastgebers, aber er beschloss, die Chance zu nutzen. „Das kannst du? Also ich
meine, so gut kennst du dich hier unten aus? Seit wann lebst du hier?“
Inzwischen war Pimminny bei ihm angelangt und strich mit leisem Schnurren und
einem vorsichtigen Maunzen hin und wieder um seine Beine.
„Schon seit ein paar Jahren. Ich kenne die Tunnel wie meine
Westentasche. Wo wir gerade so nett plaudern, wie ist eigentlich dein Name?“
„Lu.“
„Also gut Lu, wir haben morgen viel vor. Wir sollten
schlafen gehen. Nimm du das Bett da drüben im Regal.“ Sir Henry deutete auf die
zweite Etage des Regals das neben der ehemaligen Türe stand. „Morgen reden wir
weiter.“ Lu hätte gerne noch weiter gefragt und mehr über diesen Seltsamen
Teddy erfahren, aber er wollte ihn nicht verärgern, schließlich war er
vielleicht seine einzige Hoffnung, heil hier raus zu kommen.
Das Bett, von dem Sir Henry gesprochen hatte, war ein
Viereckiger Holzkasten, der mit Watte und Stoffresten gefüllt, und mit dem
Stoff eines Hemdes überzogen war. Als Kopfkissen diente ein zusammengerollter
Stofffetzen und als Decke ein T-Shirt. Es war auf jeden Fall bequemer, als es
auf den ersten Blick ausgesehen hatte. Aber Lu konnte noch eine ganze Weile
nicht einschlafen. Zu viele Dinge gingen ihm durch den Kopf. Die Sorge um Theo,
die Ungewissheit, ob Sir Henry ihm wirklich helfen wollte und die große Frage,
warum ein Teddy in einem zugemauerten Keller hauste. Er hatte gerade die Augen
geschlossen und versuchte an etwas Schönes zu denken, da hörte er ein leises
Schnurren neben sich. Als er die Augen wieder öffnete sah er Pimminny neben
seinem Bett sitzen. „Pimminny, Bett?“ maunzte sie und legte ihre Vorderpfoten
vorsichtig auf Lus Decke, wobei sie sich auf die Hinterpfoten setzte.
Lu blickte das Tierchen verwundert an. „Was? Äh, ja,
klar, komm her.“
Das kleine Kätzchen miaute erfreut, sprang federleicht auf
die Matratze und rollte sich neben Lu zusammen.
„Warum du hier?“
„Ähm, ich wurde heute verloren von Theo, meinem Kind.“ Erwiderte
Lu.
„Muss schlimm sein, traurig.“
„Ja, sehr.“ Lu überlegte kurz und fragte dann: „Weißt du,
warum der Keller hier zugemauert wurde?“
„Nicht weiß, aber Sir Henry sagt wegen Skelett.“
„Ein Skelett?“ Fragte Lu erschrocken.
„Ja, liegt da drüben.“ Pimminny nickte mit ihrem Kopf kurz
in die gegenüberliegende Ecke des Raumes. „Sir Henry sagt, wahrscheinlich vor
Jahren umgebracht.“
In der Ecke konnte Lu tatsächlich einen Haufen Knochen
liegen sehen.
„Du Hilfe von Sir Henry?“
„Ja, das hoffe ich doch,“ antwortete Lu etwas unsicher.
„Dann seien vorsichtig,“ flüsterte Pimminny leise.
„Vorsichtig? Warum?“ Doch er bekam keine Antwort mehr. Sie
war bereits eingeschlafen.
und es bleibt weiterhin spannend :)
AntwortenLöschendu hast da wirklich tolle ideen, das lesen macht richtig spaß!
der kleine lu erlebt ja richtig viel.
wünsch dir ein schönes wochenende
hdl